Autismus und Smalltalk

Zwischenmenschliche Kommunikation ist vor allem eines: komplex. Es existiert eine Vielzahl an theoretischen Kommunikationsmodellen, die versuchen, die zugrunde liegenden Mechanismen aufzuzeigen. Und doch ist keines dieser Modelle alleine dazu in der Lage, Kommunikation in ihrer Ganzheit zu erfassen.

Eine Sonderform der Kommunikation sticht dabei besonders hervor, der „Smalltalk“. Doch was ist das überhaupt?

Sigmund Freud erklärt Kommunikation mit dem sogenannten „Eisbergmodell“. Er ist der Überzeugung, dass Kommunikation zu 20% bewusst und zu 80% unbewusst stattfindet, was in etwa der Masseverteilung eines Eisbergs entspricht.

Die bewussten 20% der Kommunikation bestehen aus inhaltlichen Komponenten der Aussagen im Wortsinn. Sie enthalten Zahlen, Fakten, bewusste Gedanken und Absichten sowie Meinungen und Überzeugungen. Die Unbewusste Kommunikation hingegen enthält unbewusste Absichten, eigene Ängste, Sorgen und Hoffnungen und ist geprägt vom eigenen Sicherheitsbedürfnis, dem zwischenmenschlichen Vertrauen und der Nähe und Stellung gegenüber dem Kommunikationspartner. Auch zurückliegende Traumata und Erfahrungen beeinflussen unbewusst die Kommunikation. Während der bewusste Anteil über Wortaussagen vermittelt wird, findet der unbewusste Anteil in der Regel nonverbal mittels Körpersprache und Mimik aber auch Wortwahl und Wahl der Formulierung statt.

Während dieses Modell auch von weiteren Wissenschaftlern aufgegriffen und weiterentwickelt wurde, kommt es bei der Beschreibung von Smalltalk an seine Grenzen. Smalltalk ist keine inhaltliche Kommunikation, sondern ein soziales Ritual. Damit findet Smalltalk fast vollständig auf unbewusster Ebene statt. Als Bild hierfür eignet sich wohl eher ein Riesenkalmar, der zaghaft einige wenige möglichst allgemeine und konfliktfreie Themen hoch hält, während er unter Wasser behutsam sein Gegenüber abtastet.

Smalltalk-Themen haben alle gemein, dass sie nur wenig Tiefgang besitzen, oberflächlich sehr konfliktarm sind und kein Fachwissen voraussetzen. Durch diese Oberflächlichkeit geben sie Aufnahmekapazitäten frei für die sozialen Komponenten der Kommunikation. Häufige Themen sind dabei das Wetter, Sport und die Familie. Alle diese Themen ermöglichen es, ins Gespräch zu kommen und Anfangssympathien aufzubauen. Gerade auch im Geschäftsleben eignet sich Smalltalk hervorragend, um ein angenehmes Miteinander zu etablieren, bevor man in ernstere Themen einsteigt. Ähnlich verhält es sich beim Kennenlernen neuer Bekanntschaften und auf größeren Treffen mit Menschen (z.B. große Familienfeiern, Firmenfeiern etc.), zu denen man keine engere Beziehung pflegt und mit denen man wenige gemeinsame Interessen teilt. Sehr viele Menschen empfinden Smalltalk als angenehm und interessant, da sie ihren Fokus nicht auf den Inhalt richten.

Autismus geht meist mit Einschränkungen in der sozialen Kommunikation einher. Viele Betroffene haben große Schwierigkeiten mit nonverbaler Kommunikation und dem Lesen von Mimik und Gestik. Gleichzeitig fällt es Autisten auch schwer, selbst gezielt nonverbale Signale zu senden. Damit gehen bereits in der alltäglichen Kommunikation etwa 80% der gesendeten Informationen verloren. Bei Smalltalk sind es jedoch fast 100%, da der inhaltlichen und somit für Autisten erkennbaren Ebene nahezu keine Bedeutung zukommt.

Infolgedessen empfinden viele Autisten Smalltalk als verwirrend und inhaltslos. Auch fällt es vielen schwer, sich auf die bewusste Inhaltslosigkeit des Gespräches einzulassen und zu erkennen, an welchem Punkt aus Smalltalk ein tiefer gehendes Gespräch wird. Im Ergebnis werden einige Autisten in Smalltalk-Situationen eher still und einsilbig, während andere schnell tief in angebotene Themen eingehen und somit zu schnell für ihr Gegenüber die Smalltalkebene verlassen.

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