Aufklärung zum Thema Autismus

(Vielen Dank an dieser Stelle an Björn Beinroth für die Erlaubnis, diesen Text hier zu veröffentlichen.)

Unglaube liegt an den Klischees und Vorstellungen die in den Köpfen von Autismus spuken. Selbst manche Ärzte und Therapeuten haben keine Ahnung. Ja sogar Psychologen haben nur wenige Stunden das Thema angekratzt im Studium und kennen sich nicht aus. Bei Therapeuten wurde ich oft abgelehnt weil sie sich nicht trauen einen Patienten mit Autismus zu therapieren. Spezialisten gibt es mit Kassensitz kaum, weshalb man als Erwachsener es noch schwieriger hat als Kinder eine Diagnose zu erhalten. Bis zu 4 Jahre kann die Warteliste lang sein.

Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung und Behinderung. Das ist medizinisch so beschrieben, jedoch mögen viele Autisten diese Beschreibung nicht. Ich sehe den Autismus als anderes Betriebssystem. Apple ist anders als Android und trotzdem ist weder das eine noch das andere schlechter. Schlecht ist nur der Umgang mit dem System wenn man sich nicht auskennt.

Beim Autisten denkt man gleich an einen Savant wie Rainman mit krassen Fähigkeiten, mega schlau in Teilbereichen oder an einen geistig sehr stark eingeschränkten Menschen, der wippend in der Ecke sitzt und seine Umgebung nicht mitbekommt.

Es gibt Savants und sehr eingeschränkte Autisten, was aber nicht den Großteil widerspiegelt. Savants gibt es sogar nur sehr wenige Prozent auf der Welt.

Bis heute hat man Autisten eingeteilt in frühkindliche Autisten, atypische Autisten, high functional Autisten und Asperger. Man sagte frühkindliche Autisten sind am stärksten eingeschränkt, da sie Auffälligkeiten vor dem 3. Lebensjahr bereits hatten und Asperger sind am wenigsten stark eingeschränkt.

Das stimmt so aber nicht. Zum Beispiel ist mein Sohn frühkindlicher Autist mit einem sehr hohen IQ, was nicht in die Kategorie der Frühkindlichen passt und er macht bald sein Abitur und ist dank der ganzen Förderungen nicht so stark eingeschränkt. Ich hab mit meinem Autismus stärkere Probleme zB kann ich keine öffentlichen Verkehrsmittel alleine benutzen, keine Bus und Bahnpläne lesen, Anrufe tätigen fällt mir ultra schwer und ich hab ultra krasse Probleme mit neuen Umgebungen und Leuten und den Reizen.

Ich hab einen durchschnittlichen IQ und hatte keinerlei Förderungen. Ich hab mittlere Reife, Ausbildung und zwei Fernstudien abgeschlossen und bin immer noch ultra traurig das ich mein Abitur nicht nachholen konnte durch meinen nicht vorhanden Reizfilter und keinerlei Nachteilausgleich und Hilfen, die ich benötigt hätte. Deshalb bin ich auch mit 27 Jahren schon in Rente gegangen und im System durchgefallen.

Heute spricht man deshalb von einer Autismusspektrumstörung, denn die Grenzen der Behinderung und Einschränkungen verschwimmen. Autist ist Autist und der Autismus kann nicht geheilt werden. Inwieweit der Autismus das Leben behindert ist unterschiedlich bei allen Formen.

Autisten haben einen unterschiedlich IQ wie jeder Mensch und unterschiedliche Interessen und Begabungen. Ich bin zb und auch mein Sohn in Technik und Mathe eine absolute Null. Dafür ist mein Spezialinteresse Bücher Rezensieren und Seife sieden, Handarbeiten und Kunst generell.

Jeder hat einen anderen Bereich an Begabung und Vorlieben.

Manche Autisten können besser maskieren als andere, Masking nennt man dies. Es bedeutet das man sich nach gelernten Regeln in der Gesellschaft verstellen und anpassen kann, so das man weniger auffällt. Zb wurde mir als Kind eingetrichtert man sagt immer bitte und danke, man schaut dem anderen in die Augen, man sollte steht’s lächeln, man muss seine Tics unterdrücken. Um das alles draußen hin zu bekommen kostet es einen unglaublich viel Energie. Ein Autist hat nicht soviel Akku wie ein neurotypischer Mensch (NT). So kann es sein das das Gegenüber kaum was im Gespräch oder beim Treffen merkt. Der Autist bekommt dann aber zu Hause voll die Tics und braucht Stunden bis Tage um die Anstrengung und Spannung ab zu bauen. Die Tics sind ähnlich wie beim Tourette. Es können Laute sein, Wiederholung von Wörtern oder Sätzen (Palilalie, Echolalie), Nummernreihenfolgen, komplexe Bewegungen usw Sie lassen sich nicht immer unterdrücken und kommen stärker zurück wenn man sie erfolgreich unterdrückt.

Es gibt auch Kopfschlagen in rhythmischen Bewegungen. Wichtig ist dann das das Kind oder Erwachsener nicht angebrüllt wird sondern einen Helm erhält, damit er sich nicht weh tun kann. Ich hab schon erlebt das man solchen Menschen unterstellte sie wollen sich absichtlich verletzen -.- und dafür bestrafte.

Es ist auch ein Klischee das Autisten kein Modebewusstsein haben. Den meisten Autisten ist Mode nicht wichtig und sie tragen immer das Gleiche in nicht zu schrillen Tönen und mit Mustern und in gemütlicher Ausführung, denn drückende oder scheuernde Kleidung (oft auch Kragen) sind nicht zu ertragen. Das Körpergefühl ist in solchen Sachen hypersensitiv und bei anderen Sachen wie zB einem Bruch oder bei Kälte Hitze kann das Körpergefühl kaum vorhanden sein. Das liegt auch an der Wahrnehmung die teils nicht gut und teils extrem ausgebildet ist. Manche Autisten lieben es aber in Rollen zu schlüpfen, was es ihnen draussen leichter macht sich an zu passen. Sie verkleiden sich gerne und man findet auch einige im LARP und Cosplaybereich. Es gibt auch welche mit einem Spezialinteresse und Beruf im Bereich Mode. Viele tragen ihre Kunst oder Hobbys als Druck auf der Kleidung.

Was Autisten auch oft nachgesagt wird ist, dass sie keine Emotionen besitzen, was absolut nicht stimmt, denn viele sagen von sich selbst sie empfinden sogar übermäßig viel. Aber man kann diese Emotionen manchmal nicht zuordnen und nach Außen hin zeigen. Man kann auch dem Gegenüber nicht im Gesicht ablesen was er fühlt oder zwischen den Zeilen lesen oder es immer am Tonfall erkennen was der Gegenüber empfindet. Wichtig ist zu lernen seine Emotionen so gut es geht zu benennen und auch das Gegenüber sollte immer aussprechen wie es sich gerade fühlt. So mache ich es mit meinem Sohn schon seit je her und das klappt super. Wenn ich weiß was den anderen bewegt, dann kann ich mich da sehr gut reindenken. Ich merke auch nicht wenn ich zu viel erzähle und mein Gegenüber nerve. Das ist auch ein Grund weshalb ich zb 3 Jahre benötigte bis ich mit meinem Kumpel telefonierte. Man hat mir schon Narzissmus vorgeworfen und Egoismus weil ich gerne über spannende Themen spreche die ich mag und über mich. Aber ich merke es nicht wenn ich einen damit nerve.

Ein Spezialinteresse ist übrigens ein Hobby oder Interesse wo man sich Wochen Monate und manchmal auch Jahre sehr intensiv über Stunden am Tag bis ins kleinste Detail mit beschäftigt. Das kann auch mal wechseln. In dem Bereich erscheint man dann überbegabt. Man ist aber kein Savant. Man hat sich bloß selbst zum Profi gemacht durch Lernen und Wiederholung.

“Stimming” schaut ähnlich aus wie Tics, man macht es aber bewusst um sich zu beruhigen. Da bin ich gerade am austesten was bei mir wirkt denn ich bin extrem unter Druck, weshalb ich nachts nie schlafen kann. Ich komme nie zur Ruhe. Unter “Stimming” fallen Handschlangen, Steine klappern, sensorische Spielzeuge, Haut zupfen, Rollschuh fahren und ähnliches (auch in der Wohnung), Stimdance Tics mit Tanz kombinieren, Geräusche machen usw.

Autisten sind Regeln und gleiche Muster und Abläufe wichtig. Jeder hat da seinen ganz eigenen Plan. Das gibt Sicherheit. Spontanität funktioniert nicht. Termine sollten immer vorher mit einem Autisten gemacht werden und sich aber auch an die Uhrzeit gehalten. Das endet sonst in einer Katastrophe. Viele Autisten haben Essstörungen und die meisten essen immer nur die gleichen Lebensmittel und Marken. Viele Autisten sind deshalb sehr dünn oder dick. So geht es mir auch. Ich kann auch nicht zwischen Hunger und Satt unterscheiden. Das führt dann oft in eine Essstörung. Es ist besser den Autisten sein Essen selbst zubereiten zu lassen wenn er das so möchte und nicht beleidigt zu sein darüber. Ich esse zum Beispiel nur mit meinem eigenen Besteck (Kuchengabel, kleiner langer Löffel) und trinke nur aus meinen eigenen To Go Bechern. Es gibt Gewürze, Geschmack und vor allen Dingen Konsistenz die so unangenehm ist das es für einen Autisten unerträglich ist. Man testet auch nicht gerne Neues. Ich mach es aber das kostet Überwindung. Bei dem Besteck das hängt bei mir auch mit der Sensorik zusammen. Viele Kinder mit Autismus müssen daher mit Sonde ernährt werden bis sie etwas zu sich nehmen. Oft ist es bei Adhs und Autismus so das das Gehirn durch die Reizüberflutung nach Zucker schreit. Gesundes Essen ist mega schwierig. Zucker wegnehmen wirklich eine Qual. Dann eher ersetzen durch Dinge die vielleicht süß und gesund sind, wenn man diese Essen kann.

Ist dann etwas nicht erhältlich und an gewohntem Essen kann auch das in einer Katastrophe enden. Wird die Routine, die Sicherheit gibt unterbrochen dann werde ich sofort schrill, laut, fluche rum, bin völlig aufgelöst, verzweifelt und wütend. Früher hab ich mich selbst verletzt. Jeder Autist reagiert in der Situation anders. Ich kenne welche die werfen dann mit Lebensmitteln im Supermarkt. Das ist aber eine Ausnahme. Man kann sich aber in dem Moment einfach nicht regulieren.

Wenn Reize zu viel werden und nicht mehr verarbeitet werden können dann kommt man in einen Overload. Reaktionen sind Stress, Angst, Schmerz und weitere unangenehme Gefühle. Ich bin sehr oft im Overload, ich bin immer unter Stress/Druck und kurz vorm Meltdown. Ich bin null stressresistent und setze mich selbst enorm unter Druck. So geht es bestimmt vielen Autisten. Im Gespräch sind meine Gesichtszüge dann unpassend und ich wirke wie dissoziiert, fast nicht mehr anwesend, ich kann mich nicht konzentrieren, vergesse viel, mache Fehler. Die nächste Stufe vom Overload ist der Meltdown oder Shutdown. Der Meltdown ist dann ein unkontrollierbarer Wutausbruch, der nicht steuerbar ist. Das macht einen psychisch und körperlich unglaublich fertig. Wenn sowas passiert da wurde ich als Geisteskrank betitelt oder man wurde mir gegenüber schon handgreiflich. Das ist eine nicht steuerbare Situation wo man Hilfe bräuchte, wo ich und einige die ich kenne aber immer nur das Gegenteil erlebt habe. Das sind auch die Situationen bei Kindern wo Fremde sagen das Kind sei frech, verzogen und wo auch heute noch Gewalt oft angewendet wird verbal und körperlich. Angeblich Trotzreaktion so heißt es. Das traumatisiert jedoch und führt zu psychischen Begleiterkrankungen wie Depression PTBS Angststörungen, was viele Autisten zusätzlich haben.

Nach einem Meltdown kann es zu einem Shutdown kommen. Man kann aber nach einem Overload auch direkt in einen Shutdown kommen. Das ist quasi ein Abschalten. Die Person ist in sich gekehrt und wie eingefroren, nicht mehr ansprechbar, sie ist mutistisch, kann nicht sprechen. Ist mir schon paar mal auf dem Bahnsteig passiert oder Haltestelle. Saß dann da stundenlangen, unfähig mich zu bewegen oder zu sprechen. Das ist wirklich ein ganz schrecklicher Zustand. Auch wenn man mutistisch wird und nicht mehr sprechen kann eine Zeit lang. Passiert mir wenn jemand mich verbal in die Ecke extrem drängt. Bei anderen Autisten können leichtere Reize dazu führen.

Was halt typisch ist für Autisten was ich oben schon andeutete, wir können Mimiken kaum oder gar nicht deuten und wir verstehen soziale Regeln nicht die für andere Selbstverständlichkeit haben. Viele haben auch Probleme mit der Sprache und einige lernen auch niemals sprechen und kommunizierten zb in Gebärdensprache oder auf englisch (ist einfacher) oder mittels Teach. Viele Autisten haben eigene Wörter und spezielle Betonung oder kaum Betonung. Es gibt Autisten die reden kaum und welche die reden zu viel. Es gibt Autisten die mögen gar keine Berührungen (wie ich) und es gibt welche die sind da zu extrem und umarmen Jeden und wollen unangemessen jeden Knutschen. Wichtig ist zu wissen, dass wir alle ein Problem haben zu verstehen was angemessen ist. Ich spreche zum Beispiel mit jedem über alles. Dadurch werde ich Opfer von Tätern die mich manipulieren und ausnutzen und die das gegen mich nutzen, erklärte man mir. Das verstehe ich, mir fällt es trotzdem schwer. Es gibt Autisten die können Lügen, die meisten aber nicht. Deshalb führt auch das zu Konflikten weil man zu ehrlich ist und Menschen das als Angriff werten.

Zu den Begleiterkrankungen die oft auftreten gehört Epilepsie, ADHS, Angststörung, Essstörung, Depression.

Oft werden falsche psychische Diagnosen gestellt, wenn man nicht als Kind diagnostiziert wurde. Unter anderem bekommt man Diagnosen wie Borderline, Schizophrenie, narzisstische Persönlichkeitsstörung und ähnliches weil sich Teilbereiche der Symptome in der Diagnostik überschneiden.

Es kann zb durch den Overload bei einem Umzug als Nachwirkung bis man sich beruhigt hat zu psychotischen Symptomen kommen.

Ich selbst hab in fast 15 Jahre Therapie einen großen Haufen an Diagnosen erhalten in denen ich mich nur teilweise wiederfand und wo die Therapien auch nur teilweise etwas brachten.

Es hilft nur zu einem Spezialisten zu fahren, selbst wenn der aktuelle Therapeut, der sich mit Autismus nicht auskennt, behauptet man wirke nicht autistisch genug. Was übrigens auch so ein Satz ist über den ich mich fürchterlich aufrege, genauso wie über dir Behauptung fast alle sind in einigen Bereichen autistisch. Nein verdammt, das ist nicht vergleichbar. Der Autist nimmt jedes Detail und jedes Geräusch gleichzeitig war ohne Filter. Das ist einfach eine unglaubliche Anstrengung den ganzen Tag. Deshalb ist es für viele nicht möglich 8 Stunden zu arbeiten. Wir brauchen Pausen und Rückzugsmöglichkeit, Hilfsmittel wie noise cancellling Headsets usw. Das braucht kein neurotypischer Mensch. Er muss auch nicht seine Muttersprache wie eine Fremdsprache lernen oder soziale Regeln und das ganz natürliche Spiegeln von Körperausdruck.

Nachdem man die Diagnose hat gibt es die Möglichkeit Hilfen vom Autismustherapiezentrum zu erhalten. Aber auch Logopädie und Ergotherapie können im Einzelfall sehr hilfreich sein. Wichtig ist das der Therapeut sich auskennt oder bereit dazu ist auf den Menschen ein zu gehen.

Genauso finde ich die Kommunikation auf verschiedenen Wegen zwischen Autist und neurotypische Menschen sehr wichtig. Manchmal sollte man ungewöhnliche Wege gehen um ein Miteinander zu ermöglichen. Es gibt nicht nur verbale Kommunikation und man kann sich auch ohne Hände berühren. Emotionen kann man nicht nur mit Mimik ausdrücken. Einem Autisten kann man nicht unbedingt ansehen das er Autist ist.

Ich wurde schon öfters von neurotypischen Partnern angeschrieben, was der Partner mit seiner Reaktion meint oder was sie machen sollen? Ich kann diese Frage nicht beantworten, da jeder individuell ist und ich verstehe nicht wieso man als Partner nicht den eigenen Partner fragt oder einen Brief schreibt?! Denn nur er kann die Antwort geben!

Ich wünsche mir mehr Aufklärung und mehr miteinander.

Was für mich kaum zu ertragen ist, ist die Missgunst und das Infragestellen von Behinderungen, sogar untereinander erlebe ich das nicht bei den Autisten, aber von neurotypischen Menschen das sich die Behinderten im Wettbewerb sehen wer am behindersten ist und das sie Hilfsmittel und Pflegegrad dem anderen nicht gönnen und zugestehen. Dabei ist eine Behinderung nicht immer körperlich und nicht immer zu sehen und jeder Mensch kommt auch sehr individuell mit Schmerzen und seiner Behinderung zurecht, egal in welcher Form.

Ich hoffe Ich kann den ein oder anderen zum Nachdenken anregen und erreichen.

PS Die Beispiele für die einzelnen Punkte spiegeln natürlich wieder wie ich meinen Autismus empfinde. Wie oben erwähnt ist Autismus ein Spektrum und sehr individuell.

Der Spruch kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten ist korrekt.

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