Als Autistin mit autistischen Kindern arbeiten

(Vielen Dank an dieser Stelle an Natalie für die Erlaubnis, diesen Text hier zu veröffentlichen.)

Im Januar 2022 habe ich die Diagnose Asperger Autismus bekommen. Die Diagnose hat mein Leben positiv verändert.

Meine Vergangenheit war alles andere als einfach. Nach dem Kindergarten bin ich zwar leistungstechnisch in der Grundschule klar gekommen, war aber inkompatibel mit anderen Kindern und Veränderungen. Es machte mir schlicht und ergreifend Angst und die anderen Kinder habe ich nicht verstanden, auch wenn wir verbal die gleiche Sprache verwendeten. Ständig sollte ich sein wie die Anderen, die sich so unberechenbar verhielten und die scheinbar problemlos zueinander fanden.

Der Wechsel auf die weiterführende Schule brachte enorm viel Veränderung, auch wenn meine Mutter stets versuchte, diese so weit wie möglich für mich abzuschwächen. Dann kam die Frage auf, was ich einmal werden möchte. Ehrlich gesagt wusste ich nicht einmal mehr, was ich schon war und war mit der Frage absolut überfordert. Ich kannte nicht jeden Job, den es auf der Welt gab und wer schränkte das eigentlich ein? Es gab immer jemanden, der es “besser wusste” als ich, auch wenn sie eigentlich gar nichts verstanden haben.

Ich wusste, dass ich gerne mit Menschen arbeiten würde. Vielleicht sogar mit Kindern, die mir mittlerweile verständlicher waren als Erwachsene. Meine Mutter lehnte dies klar ab, weil man “jemanden wie mich nicht auf Kinder loslassen sollte”. Dass sie das böse meinte glaube ich nicht. Aber hatte sie auch Recht deswegen?
Ich begann eine überbetriebliche Ausbildung und scheiterte. Depressionen, Sozialphobie, Essstörungen, atypische Zwangsstörungen. Nach sieben Jahren, die ich beruflich durch ein autistisches Burnout verloren habe, schulte ich um, arbeitete in mehreren Bereichen im Büro, kompensierte, bis meine Fassade wie das sprichwörtliche Kartenhaus zusammenfiel und ich plötzlich als “komisch”, “anders als vorher”, “unsozial” wahrgenommen wurde. Es folgten Mobbing und mehrere Jobwechsel. Nur einen Job habe ich eine ganze Weile behalten können. In einem Integrationsunternehmen arbeitete ich als Schreibkraft, hatte wenig Außenreize um mich, musste mich nicht zu einer gemeinsamen Mittagspause zwingen.

Aber Sympathien habe ich immer schnell gewonnen und plötzlich wieder verloren. Weil ich nicht wusste, wie ich zwischenmenschlich korrekt agieren konnte, wie ich Kontakte ausbaute oder hielt. Therapien halfen nichts. Gerade, wenn es um meine sozialen Probleme ging, wurde mir eine Sozialphobie unterstellt und über Übungen sollte ich lernen, meine Angst zu überwinden und fremde Menschen anzusprechen. Dass das nicht mein Problem war, wurde nicht verstanden.

2019 habe ich die Diagnose ADHS ohne Hyperaktivität bekommen, was an und für sich selten ist, weil ADHSler meistens Mischtypen mit einer Tendenz in eine Richtung sind. Also war ich nicht einmal mehr für eine ADHSlerin normal. In einem Job habe ich die Diagnose schließlich benannt, weil ich mir Verständnis erhoffte. Diese wurde gegen mich verwendet und als Kündigungsgrund nach Ablauf der Probezeit (!) vorgeschoben – als kompensieren schlicht und ergreifend nicht mehr möglich war.

So kam ich zu einem Job, den mir meine Mutter niemals zugetraut hätte. Sozial nicht kompetent genug… Ich wurde Integrationshelferin und begleitete ein Kind mit ADHS- und Autismusverdacht. Deshalb habe ich mich mehr und mehr mit Autismus beschäftigt – und erkannte mich darin. Hinter all dem Klischeedenken, das ich bisher hatte gegenüber Autismus, fand ich die Erklärung für mein Anderssein – und meine berufliche Nische.

Der Job ist alles andere als einfach für mich, aber durch mein extrem intensives Beschäftigen mit Themen der Psychologie seit meiner Jugend, finde ich Lösungen, sehe ich Verhaltensmuster bei Kindern und kann aktiv mit ihnen an ihren Problemen arbeiten. Natürlich nicht als Therapieersatz, das würde ich mir nie anmaßen. Aber ich finde Wege, wo andere keine sehen. Mittlerweile beginnt mein damaliges I-Kind die Autismusdiagnostik, die zuerst abgelehnt wurde und ich begleite ein Kind mit einer Autismusdiagnose. Mit den Kindern komme ich sehr gut klar und sie profitieren von mir.

Die Diagnostik war extrem wichtig für mich und auch, dass meine Mutter meinen Verdacht teilte und mich unterstützt hat dabei. Kurz nach der Diagnosestellung (Asperger Autismus) habe ich meinen Träger, die Schule und die Eltern meines I-Kindes darüber informiert. Ich bekam durchweg positive Reaktionen, auch, weil mein I-Kind sehr an mir hängt und ich ziemlich schnell zwischen NTs und dem I-Kind vermitteln konnte. Mittlerweile halte ich zusätzlich Vorträge für die anderen Integrationshelfer meines Trägers an mehreren Standorten. Für die Lehrer der Schule meines I-Kindes habe ich ebenfalls meinen Vortrag “Autismus aus autistischer Sicht” gehalten. Zudem hat mich eine Autismuspädagogin gefragt, ob ich zwischendurch mit ihr Vorträge halten möchte und ich unterstütze ab und zu eine Heilpädagogin dabei, autistische Kinder und Jugendliche besser zu verstehen.

Ist es zu viel? Vielleicht werde ich irgendwann darüber nachdenken. Aber ich finde es wichtig, für meine autistische Tochter, für die Kinder, die ich begleite und für die, die ich nicht begleiten kann. Autismus ist eine Umverteilung der Kompetenzen, etwas, das in unserer Welt keinen Platz findet. Aber muss das so sein? Wie weit können wir kommen, wenn wir einfach so sein dürfen, wie wir sind? So wie an der Schule meines I-Kindes, wo Kompetenzen nicht danach beurteilt werden, ob man autistisch ist oder nicht. Bin ich eine Träumerin, wenn ich diesen Weg gehe? Ich werde es bestimmt herausfinden.

Natalie

Menü